Schrotschuss und Nachsuche

Anlässlich des Schweisshundeführerseminars 2012 im Schuttertal nahm auch eine Nachsuchengruppe aus dem Kanton Zug (Schweiz) teil. Dabei wurde die Problematik des Schrotschusses auf Rehwild, im Zusammenhang mit der Nachsuche und der Wirkung intensiv und leidenschaftlich diskutiert.

Vorab einige einleitende Zeilen zu meiner Erfahrung mit dem Schrotschuss auf Rehwild. Ich jage seit 35 Jahren und habe in dieser Zeitspanne einige hundert Drück- und Treibjagden auf Rehwild in unseren Revieren in der Nordostschweiz organisiert. Bei den meisten, in den eigenen Revieren stattfindenden Jagden, war ich in einer Doppelfunktion als Jagdleiter und Nachsuchenführer tätig. In den vergangenen 35 Jahren habe ich im Schnitt auf Treib- und Drückjagden 15 Rehe mit Schrot erlegt.

Tradition
Die Schrotjagd hat in der Schweiz eine lange Tradition, die nie ernsthaft in Frage gestellt wurde, was aber nicht heissen will, dass nie darüber diskutiert wurde und wird. Schauen wir uns die benachbarten europäischen Länder an, so sind Frankreich, Skandinavien und Italien der gleichen Meinung wie die Schweiz und erlegen Rehe auch mit Schrot. Aus meiner Kindheit und meinen ersten Kontakten zur Deutschen Jagd und älteren Deutschen Jägern wurde mir bewusst, dass auch in Deutschland früher das Rehwild mit Schrot bejag wurde. Wann dies abgeschafft wurde, vermag ich nicht exakt zu sagen.

Wirkung des Schrotschusses
Der Schrotschuss wirkt einerseits durch Schockwirkung, andererseits kann Schrot – sofern er auf vernünftige Distanz, nicht über 30 Gänge und angepassten Schrotstärken (3,5 mm – 4 1/4 mm) angewendet wird – auch durch Organtreffer eine tödliche Wirkung erlangen. Die Schockwirkung kann auch auf grössere Distanz erreicht werden. Nur fehlt meistens die Deckung und der Organtreffer fällt als Hilfsmittel und Schweissspender für den Nachsuchenführer aus.
*Der Schock als Folge eines Schrotschusses wird in der Regel beschrieben als Folge von reflexiver Erregbarkeit von peripher endenden Empfindungsnerven. Es wird vermutet, dass das fast gleichzeitige Auftreffen (vieler?) Schrote auf viele Nervenenden eine Art Lähmung hervorruft.
Ein mit 250 m/s auftreffendes Schrotkorn der Stärke 3,5mm durchschlägt die Winterdecke und beide Knochenwände der Halswirbel. Die Eintrittstiefe eines Schrotes der Stärke 4mm, durchschlägt den Schädel eines Rehes problemlos und bleibt im Hirn stecken. Solche Treffer und Treffer der Wirbelsäule haben ein sofortiges Zusammenbrechen zur Folge. (*Aufsatz P Kuhn; 13.5.2004)
Treffer auf 40 m mit einer Schrotstärke von 4 mm haben eine Endringtiefe von 11 cm, bei 30 m bereits 15 cm, bei 25 m kann es bereits Durchschüsse geben.

Es zeigt sich, dass Rehe ohne Organtreffer kaum schweissen und wenn, nur leicht aus dem Äser. Rehe mit Organtreffern hingegen schweissen nach kurzer Zeit meist stark aus dem Äser (Lungenschweiss). Schweiss aus Schusskanälen von Schrotkugeln, Ein- oder Ausschüsse, sind zu vernachlässigen. Wir finden also weder Herz- noch Leberschweiss, noch Panseninhalt auf dem Anschuss. Man geht davon aus, dass auf 25 – 30 m, ca. 15 – 20 Schrote auf dem Wildkörper reichen, um eine tödliche Wirkung zu erreichen.

Wirkungstabelle

Distanz      Deckung
*Gesamtstreuung
**wirksame Garbe
mögl. Pirschzeichen sofern Tier nicht im Feuer liegtTrefferWildbrettverlust
2 – 10 mWirkung wie Kugelschuss
*    100 cm
**   100 cm
Mehr als bei Kugelschuss
sofern ein Treffer vorliegt. Schweiss, Gewebeteile
Organ/SchockHoch,
zerfetzt, Hämatome,
Haareinschlüsse
10 – 15 m*    140 – 200 cm
**   140 – 200 cm
Schnitthaare, wenn Lungenschuss, nach ca. 20 m blasiger Auswurf, evtl. Knochensplitter bei LaufschüssenOrgan/SchockMittel,
starke Hämatome, Haareinschlüsse
15 – 20 m*    200 – 220 cm
**   200 cm
Schnitthaare, bei Organtreffer nach 20 –40 m Schweiss
bei Laufschüssen Knochensplitter
Organ/SchockMittel,
starke Hämatome, Haareinschlüsse
20 – 25 m*    220 – 300 cm
**   200 cm
Wenig Schnitthaare, wenn Lunge, dann nach 20 – 40m Schweiss, bei Laufschüssen KnochensplitterSchockwirkung und OrgantrefferGering,
Hämatome Haareinschlüsse
25 – 30 m*    300 – 400 cm
**   200 – 140 cm
Kaum Schnitthaare, wenn Lunge, dann nach 20 – 40m Schweiss, bei Laufschüssen kaum KnochensplitterSchockwirkung und OrgantrefferGering,
Hämatome
30 – 35 m*    400 – 500 cm
**   140 – 100 cm
Keine Schnitthaare, bei Laufschüssen kaum KnochensplitterSchockwirkung keine OrgantrefferGering,
Hämatome, Schrote stecken unter der Decke

Wie zeichnet das Stück?
Rehe im vollen Lauf gut getroffen sacken in sich zusammen, wie vom Blitz getroffen. Oftmals bleibt  sogar das Schlegeln aus. Sind sie weniger gut getroffen, stürzen sie und werden schnell wieder hoch. Laufschüsse werden wie beim Kugelschuss quittiert. Kitze klagen in der Regel bei Laufschüssen stark. Rehe, die langsam anwechseln und sichern, quittieren den Schuss in der Regel nicht so eindeutig wie schnell anwechselnde Rehe. Zur Sicherheit sollt man immer warten bis sich die Muskelspannung im Analbereich löst, sichtbar am kleiner werdenden Spiegel. Erst dann kann man davon ausgehen, dass auch der Hirntod eingetreten ist. (trifft auch beim Kugelschuss zu)

Zustand Wildbrett
Es stellt sich immer die Frage nach dem Zustand und den Rückständen im Fleisch.
Grundsätzlich ist es so, dass Schüsse aus nächster Nähe eine verheerende Wirkung mit entsprechendem Wildbrettverlust hervorrufen, während Schüsse zwischen 15 und 30 m Hämatome und auch einzelne Schrotkugeln im Muskelfleisch zurücklassen. Die Hämatome können beim Zerwirken entfernt werden.
Die toxische Wirkung evtl. verschluckter Schrotkugeln ist zu vernachlässigen, da wir diese nicht kiloweise zu uns nehmen. Hingegen sind die Nanoteile bei einem Kugelschuss gefährlich, da sie starke Auswirkungen auf den Organismus haben können. Aber auch hier ist es die Menge, die das Problem darstellen könnte. Weichschüsse sind mit Schrot auch möglich, sogar wahrscheinlich, nur ist der Austritt von Panseninhalt durch die kleinen Löcher nicht zu vergleichen mit einem Kugelschuss. Ein Weichschuss mit einer Kugel führt in der Regel durch den hohen Druck zu grossen Verunreinigungen und Wildbrettverlusten. Offensichtlich ist das, wenn wir Bilder von Schrotstrecken und Kugelstrecken vergleichen. Die Schrotstrecken sind ein optischer Augenschmaus, keine zerfetzten Rehe. In den meisten Fällen haben wir Wildkörper, die auf den ersten Blick unversehrt sind, während Strecken mit Kugelrehen oftmals einen beschämenden Eindruck hinterlassen, sofern alle Stücke auf die Strecke gelegt werden.

Fazit
Wenn wir „weidmännisch“ mit schneller Tötungswirkung und gut verwertbarem Wildbrett definieren, ist der Schrotschuss ebenso vertretbar wie der Kugelschuss. Eindeutiger Vorteil eines Schrotschusses gegenüber dem Kugelschuss ist die Möglichkeit, Rehwild in Bewegung sicher zu erlegen. Die unstete Bewegungsart von getriebenem Rehwild im Gelände lässt meist keinen sicheren Kugelschuss zu. So gebe ich bei Drückjagden mit Kugel immer die Devise aus: Nur schiessen, wenn das Stück mit allen vier Läufen auf dem Boden steht.

Ein weiterer Vorteil ist der gefährdete Raum, der mit Schrot wesentlich kleiner ist als mit der Kugel. Ein weiterer positiver Punkt ist die Möglichkeit von Schüssen auf Stücke, die leicht gedeckt in einer Dickung sind. Dies wurde entgegen allen (auch meiner) Prognosen in einer Versuchsreihe wissenschaftlich bewiesen. Nachteil ist die Streuung, die Wirkung auf nachfolgendes Wild und die schnell abnehmende Wirkung auf Distanz. Als eindeutiger Nachteil ist oftmals das Fehlen von Pirschzeichen für die Nachsuche zu werten.

Grundsätzlich ist es so, dass sowohl beim Schrotschuss, als auch beim Kugelschuss die Verantwortung des Schützen und des Nachsuchenführers gefragt ist. Es zeigt sich auch, dass erfolgreiche Schützen sowohl mit der Kugel, als auch mit Schrot hervorragend umgehen können.

Regeln für den Schrotschuss
1.    Distanz nicht unter 15 m und nicht über 30 m;
2.    Wenn möglich nur auf ziehendes Wild, da bessere Schockwirkung;
3.    Keine Schüsse in Sprünge, Vorsicht bei Schuss auf Kitz, welches mit der Geiss kommt
(Ausdehnung Schrotgarbe);
4.    Keine Schüsse spitz von vorne, immer breit, Deckung ausnützen;
5.    Jeder Anschuss wird untersucht, es gibt keine Fehlschüsse (Ausdehnung der Garbe);
6.    Nachsuchen – sofern man nicht von einer Totsuche ausgeht – so lange wie möglich hinausschieben, damit der Schweiss in die Körperhöhle austritt und somit der Schock einsetzen kann.

Werner Stauffacher
Merishausen, Schweiz

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